Nur noch wenige Jahre, dann feiert das Familienunternehmen Reifen Stiebling seinen 100. Geburtstag. In der Firmen-DNA fest verankert ist das Engagement für die Menschen in Herne. Auch der Verein Ruhrwerk kann seit mehr als zehn Jahren auf die Unterstützung durch die Familie Stiebling zählen. Jetzt trafen sich die Ruhrwerk-Gründerin Cordula Klinger-Bischof und Firmensenior Christian Stiebling zu einem Gespräch über das, was war, und das, was kommen wird.
Ruhrwerk: Reifen Stiebling ist seit mehr als zehn Jahren Sponsor bei Ruhrwerk e.V. Wie kam es zu dem Engagement? Gibt es ein Lieblingsprojekt?
Christian Stiebling: Die Unterstützung von Bildung, Kultur und Sport ist für unser Unternehmen seit 95 Jahren eine Selbstverständlichkeit. Wir verstehen diese Unterstützung als Hilfe zur Selbsthilfe. Genau an diesem Punkt setzt Ruhrwerk an: Ruhrwerk unterstützt Kinder in unserer Stadt bei ihrer Entwicklung. Diese Kinder sind unsere Zukunft. Wir haben schon vor rund 50 Jahren entscheidend die Gründung der Fröhlichen Ferienstadt unterstützt und begleitet. Sie ermöglichte damals damals rund 1.000 Kindern täglich eine dreiwöchige Ferienzeit im Revierpark Gysenberg. 50 Jahre später begleitet Ruhrwerk viele Kinder bei ihrem Start ins Leben – da ist jedes Projekt ein Lieblingsprojekt. Und wenn es geht, helfen wir jederzeit gerne mit – mal mit Rat, mal mit Tat und mal mit einer Spende. Und das wird auch so bleiben: Gemeinsam für die Kinder unserer Stadt.
Ruhrwerk: Reifen Stiebling und Herne – das gehört zusammen. Wie fing alles an? Und wo steht das Unternehmen heute?
Christian Stiebling: Unser Unternehmen wurde 1929, also vor 95 Jahren von Alfred Stiebling senior gegründet. Damals fuhren gerade einmal 936 Fahrzeuge auf Hernes Straßen. Eine mutige und damals innovative Entscheidung, überhaupt auf das Thema Reifen zu setzen. Mit ein paar Reifen unter dem Arm ging es damals – mit der Straßenbahn – zu den ersten potentiellen Kunden. Seitdem hat sich das Unternehmen stetig entwickelt und vergrößert, mittlerweile ist mit Alexander Stiebling der Urenkel des Gründer fest im Unternehmen angekommen. Drei Generationswechsel hat das Unternehmen erfolgreich gemeistert, und so präsentieren wir uns heute als typisches Familienunternehmen im Mittelstand mit rund 200 Mitarbeitern, 13 Filialen, einem Runderneuerungswerk, einer Mobilservicezentrale und einem Tochterunternehmen, das sich auf Großhandel und Wiederverkauf konzentriert. Der Reviermanager kürte uns damit zum größten Reifenhändler in NRW.
Ruhrwerk: Jetzt ist die Firma in der 4. Generation erfolgreich: Was hat sich verändert? Was wird die Zukunft bringen?
Christian Stiebling: Wir sind stolz, in den letzten Jahren eine hohe Innovationskraft aufgebaut zu haben. Die Kombination von Senior und Junior in einem Unternehmen ist – wenn sie richtig gestaltet wird – extrem wertvoll und stellt eine sehr gute Basis für innovatives Handeln dar. Historisch betrachtet haben wir als Unternehmen immer dann das größte Wachstum verzeichnen können, wenn zwei Generationen gleichzeitig im Unternehmen aktiv waren. Wir probieren auch jetzt gerade viel aus und bewegen uns auf durchaus unkonventionellen Wegen. So haben wir einen ressourcenschonenden LKW-Reifen namens „Malocher“ entwickelt und schon mehrere Projekte mit Start-Ups aus der Region gestartet, zum Beispiel für eine Softwarelösung oder einen mobilen PKW-Service. Natürlich ändert sich mit jeder neuen Generation am Steuer auch die Kultur im Unternehmen, der Führungsstil ist ein anderer. Einige Grundsätze allerdings bleiben immer gleich: Damit meine ich unsere täglich gelebte Firmenphilosophie. Sie fußt auf dem fairen Umgang mit den Menschen – ob Mitarbeiter, Kunde oder Lieferant. Ebenso ist es uns immer gelungen, vollständig unabhängig zu bleiben. Das soll auch in Zukunft so bestehen, für die wir uns hervorragend aufgestellt sehen.
Ruhrwerk: Welche Herausforderungen sind zu meistern? Wir denken da an den Fachkräftemangel.
Christian Stiebling: Die meisten mittelständischen Betriebe, die handwerklich arbeitende Menschen für ihren Erfolg brauchen, werden das Thema Fachkräftemangel spüren. Wir sind auf dem Papier ein Handelsbetrieb, aber bei uns arbeiten mehr als 100 „Malocher“, die Reifen montieren, sortieren reparieren und runderneuern. In der Branche ist der Fachkräftemangel mittlerweile das am stärksten dominierende Thema. Der Reifenfachhandel hat leider immer noch ein Attraktivitätsproblem. Deshalb betreiben wir einen enorm hohen Aufwand, um für junge Menschen, zum Beispiel Auszubildende, attraktiv zu sein. Außerdem ist es uns gelungen, die Fluktuation extrem gering zu halten.
Ruhrwerk: Die Automobilbranche steht zur Zeit sehr unter Druck. Trotzdem: Welche Chancen kann ein Familienunternehmen wie Reifen Stiebling nutzen?
Christian Stiebling: Wir zeichnen uns durch eine Reihe von Alleinstellungsmerkmale aus, auch USPs genannt. Diese sind insbesondere wertvoll für Flotten aller Art: PKW, Transporter, Stapler und LKW. An genau diesen USPs arbeiten wir stetig weiter. Dazu gehören unsere Runderneuerung. DieWiederaufbereitung von LKW-Reifen ist hochgradig nachhaltig. Des weiteren gehört unsere Mobilservicezentrale dazu. Dabei handelt es sich um Reifen-Montage beim Kunden vor Ort, die zentral disponiert wird. Erwähnen möchte ich auch unsere „Menschen mit Profil“, das sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen viele die Ausbildung bei uns gemacht haben und anschließend jahrzehntelang fest im Unternehmen verwurzelt sind. Im Flottenbereich werben wir mit dem Slogan „Mobil. Digital. Grün“. Darüberhinaus arbeiten wir mit vielen unserer Kunden häufig schon seit Generationen zusammen. Das fasst es einfach zusammen. Wir sind überzeugt: Ob Verbrenner oder E-Mobil: Guter Reifenservice wird auch zukünftig von Nöten sein. Das Konzept des Reifens ist von der Art des Antriebs unabhängig. Wir sind uns sicher, dass Reifen auch in vielen Jahren noch verbaut und gebraucht werden.
Ruhrwerk: Was macht Reifen Stiebling, um die Mitarbeiter der Zukunft zu finden und zu halten?Christian Stiebling: Wir haben aktuell genug Leute an Bord, und jährlich kommen tolle neue Fachkräfte aus unserer eigenen „Schmiede“ hinzu, die erfolgreich ihre Ausbildung absolviert haben. Ausbildung ist der Schlüsselbegriff und die Antwort für zukünftig fest mit dem Unternehmen verbundene Mitarbeiter. Es braucht heutzutage kreative Lösungen, um gerade junge Leute für sich zu begeistern. Die Basis ist ein Klima der Wertschätzung, des Vertrauens und der Sicherheit – das ist vielfach noch relevanter als die „Hygienefaktoren“ Gehalt und Benefits. Damit die Mitarbeitenden bei uns bleiben, brauchen sie eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen. Diese entsteht mehr über die Kultur und den gelebten Umgang miteinander als über Zusatz-Wohltaten und komplizierte Prämiensysteme. Wir haben verhältnismäßig früh angefangen, am Thema „Arbeitgebermarke“ zu arbeiten. Der Slogan „Menschen mit Profil“ entstand schon im Jahr 2010. Vor 13 Jahren war es noch überhaupt nicht in Mode, die eigenen Mitarbeitenden in die erste Reihe zu stellen. Als wir dies taten, weckte diese neue Perspektive bei vielen Stolz und Motivation. Wir begleiten unsere Mitarbeitenden bei ihrer täglichen Arbeit mit Fotos und Videos. Wir bespielen die sozialen Medien intensiv. Das erhöht die Anziehungskraft und macht unser Berufsbild transparenter. Aktuell sammeln wir erfolgreich Erfahrungen mit dem Influencer „Varion“, der über Youtube und Instagram für den Ausbildungsberuf des „Reifen- und Vulkanisationstechnikers“ wirbt. Auch hier probieren wir viele Dinge einfach mal aus. Eine Konstante hingegen ist die enge Zusammenarbeit mit Sportvereinen, die immer wieder zu guten Bewerbungen führt – insbesondere aus dem Jugendbereich U17 und U19. Mehr als 100 Teams tragen das Reifen Stiebling-Logo auf der Brust. Dieses Engagement hilft uns, ins Gespräch zu kommen: mit potentiellen Kunden und natürlich auch zukünftigen Mitarbeitern.
Ruhrwerk: Welche Herausforderungen müssen bei der Ausbildung bewältigt werden? Welche Erfahrungen macht Reifen Stiebling mit den Jugendlichen?
Christian Stiebling: Der Betreuungsaufwand von Unternehmensseite ist höher geworden. Hat ein Auszubildender unterschrieben, investieren wir viel Zeit in Gespräche, Lehrgänge und Teambuilding-Aktionen. Dazu gehören zum Beispiel Besuche von Rockfestivals oder der Jochen Schweizer Arena in München. Unsere „alten Hasen“ im Unternehmen wurden bei ihrer Ausbildung früh ins kalte Wasser einer Hochsaison geschubst und haben von Beginn an malocht, was das Zeug hält. Da herrschte ein durchaus rauher Ton, und es wurde sicherlich deutlich weniger Rücksicht genommen als heutzutage. Auch hier lernen wir täglich neu dazu. Gleichzeitig stellen wir fest, dass wir Jahr für Jahr in Werkstatt und Büro erstaunliche neue Talente entdecken, die richtig Gas geben und motiviert bei der Sache sind. Wir sind richtig stolz auf die 22 Auszubildenden, die wir an Bord haben – da wächst ein vielversprechender Nachwuchs heran.
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Kult im Ruhrgebiet: Zum 90. Geburtstag von Reifen Stiebling ließen Seniorchef Christian Stiebling (rechts) und sein Sohn Alexander Stiebling, der im Familienunternehmen erfolgreich die Nachfolge angetreten hat, einen historischen VW-T1-Bulli, Baujahr 1965, originalgetreu restaurieren. Seitdem rollt das Schmuckstück auf vier Rädern als Sympathie-Botschafter kreuz und quer durchs Revier. Foto: Jakob Studnar / Reifen Stiebling