Ruhrwerk und „Lernen! in Herne“ für bessere Bildungschancen: Zwei Vereine – ein Ziel

Um die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche in Herne durch innovative Projekte zu verbessern, arbeiten „Lernen! in Herne“ und Ruhrwerk eng zusammen – Zukünftig stärker im Fokus: Vorschulkids

Zwei Vereine, ein Ziel: Um die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in Herne zu verbessern, arbeiten die Vereine „Lernen! in Herne“ und Ruhrwerk seit Jahren eng zusammen. Über erste Meilensteine und Zukunftsprojekte sprach die Journalistin Susanne Schübel mit Ruhrwerk-Gründerin Cordula Klinger-Bischof (CKB), Gudrun Thierhoff (GT), Bildungsdezernentin a.D. und Mitgründerin von „Lernen! in Herne“, und dem neuen Vereinsvorsitzenden Lothar Przybyl (LP).

Ruhrwerk: Wie ist „Lernen! in Herne“ entstanden?

Gudrun Thierhoff (GT): Der Verein wurde vor etwa zehn Jahren ins Leben gerufen. Damals lief das Projekt „Lernen vor Ort“ in unserer Stadt, über das wir eine Förderung von zwei Millionen Euro für die lokale Bildungslandschaft erhalten haben. Den Gründerinnen und Gründern ging es darum, neue Impulse und Ideen in die Herner Bildungslandschaft hineinzutragen und gleichzeitig engagierte Fachleute zusammenzuführen, – aus dem Jugendamt, aus der Schulverwaltung, aus dem Bildungsbüro. Unser Ziel war und ist es, Fördermittel zu akquirieren, um neue Wege zu gehen und innovative Projekte zu entwickeln. Dabei können wir mittlerweile auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen.

RW: Was waren die ersten Meilensteine?

GT: Im Rahmen eines Screenings (KOMPIK) standen die Kindertageseinrichtungen in Herne vor der Aufgabe, den Entwicklungsstand der Kinder und die Arbeit in den Kitas zu dokumentieren. Dazu waren Laptops erforderlich, die in den Einrichtungen der freien Träger nicht vorhanden waren. Unserem Verein ist es damals gelungen, die Kitas mit Laptops zu versorgen, um diesen wichtigen stadtweiten Überblick zu ermöglichen. Das Screening wird bis heute weitergeführt. Später haben wir Mutter-Kind-Gruppen in Schulen unterstützt, um die Sprachförderung zu initiieren. Wichtig war und ist uns das Thema Sport und Sprache oder Lese-Projekte mit der Stadtbibliothek. Wir haben immer versucht, im kleinen Rahmen mit wenig Mitteln etwas Neues und Wirksames zu initiieren. Die finanzielle Förderung kam und kommt von der Herner Sparkasse, über Stiftungen oder die öffentliche Hand.

RW: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ruhrwerk?

GT: Seit langem wussten wir, dass Ruhrwerk angetreten ist, um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für Kinder in Herne zu verbessern. Im Jahr 2021, mitten in Corona, hatten wir telefonischen Kontakt. Wir machten uns Sorgen um die Auswirkungen der Schulschließung auf die Grundschulen. Wie sollen Kinder, die von zuhause keine Unterstützung erfahren, jemals den Anschluss schaffen? Da würde es nicht reichen, einfach wieder mit dem Unterricht zu beginnen. Noch bevor die NRW-Landesregierung das Projekt „Extrazeit Lernen“ aufgelegt hatte, dachten wir darüber nach, in Herne mit kleinen Mitteln zusätzlichen Unterricht oder Lernförderung am Nachmittag anzubieten. Für zwei Grundschulen in Herne hatten wir für die Zeit von Ostern bis zu den Sommerferien sogar schon alles durchgerechnet, dann kam die Landesregierung mit dem Fördertopf Extrazeit. Das bedeutete, dass wir diese Idee mit anderen Trägern für ganz Herne ausrollen konnten.

RW: Wie kam Extrazeit Lernen in unsere Stadt?

GT: Der Verein „Lernen! in Herne“ hat mit freien Trägern wie der Caritas, Gesellschaft freie Sozialarbeit und AWO Kontakt aufgenommen, Ruhrwerk war von Anfang an mit im Boot. Wir wussten, dass wir mit Hilfe der Fördermittel die zusätzliche Förderung in den Grundschulen langfristig anlegen konnten. Wir waren die Initiatoren und Geldgeber, die Träger übernahmen die Durchführung und die Anstellung von Personal. Wichtig war uns die enge Verzahnung mit der Schule und dem Unterricht. Das Land stellte Mittel zur Verfügung, 20 Prozent mussten wir jedoch selbst aufbringen. Dank Ruhrwerk haben wir diese Summe auf der Ruhrwerk Gala 2021 auf den Weg gebracht.

Lothar Przybyl (LP): Ich war dort, aber selbst noch kein Vereinsmitglied. Es war eine so angeregte Stimmung, alle hatten Lust, sich nach der harten Corona-Zeit wiederzusehen und gemeinsam zu feiern. In diese tolle Atmosphäre hinein war das Statement von Gudrun Thierhoff zur Extrazeit einfach hammermäßig und hat mich tief beeindruckt. Ihre Worte legten den Grundstein für den Erfolg des Projektes in unserer Stadt. Ruhrwerk hat dazu Menschen zusammengeführt, die unser Verein sonst nicht erreicht, und so die Plattform für die Idee geschaffen. Das ist echtes win-win und hat viel bewirkt.

RW: Wie hat sich Extrazeit Lernen in Herne ausgewirkt?

CKB: Das Projekt hat in jedem Schuljahr mehr als 300 Schülerinnen und Schüler erreicht. Die beteiligten Schulen waren total dankbar, denn allein hätten sie diese zusätzliche Lernförderung am Nachmittag nicht auf den Weg bringen können. Durch Corona waren viele Kids ein bis zwei Jahre hinter dem normalen Lernstoff zurück. Diese Lücke konnte durch Extrazeit Lernen frühzeitig verringert und sogar geschlossen werden. Gelohnt hat sich das Projekt für das soziale Miteinander der Kinder, das in Corona weitgehend verlorengegangen ist. Auch auf die sprachliche Entwicklung und die Lernmotivation hat es sich positiv ausgewirkt. Last but not least wurde auch die Anbindung an die Eltern intensiviert.

RW: Die NRW-Landesregierung hat sich trotzdem entschlossen, Extrazeit Lernen nicht weiterzuführen. Ein flammender Appell des Vereins hat leider nicht gefruchtet. Was ist zu dieser Entscheidung zu sagen?

GT: An diesem Beispiel zeigt sich das große und grundsätzliche Dilemma der Landesförderung. Die Landesregierung denkt in Haushaltsjahren und nicht in Schuljahren. So entstehen in der Projektfinanzierung immer wieder Lücken, die in Eigeninitiative überbrückt werden müssen. Dank der Unterstützung durch die Stadt Herne ist dies gelungen. Trotzdem endet das Projekt mit den Sommerferien 2023, Kinder und Schulen stehen im Regen. Ob sich daran zum neuen Schuljahr etwas ändert, ist offen. Das neue Schuljahr beginnt im August, und bisher gab es keinerlei Informationen aus dem Schulministerium. Dabei brauchen alle Beteiligten Vorlauf, um ein solches Projekt weiterzuführen. Ohne konkrete Zusagen brechen die Strukturen weg, die in Herne so gut funktioniert haben, die Mitarbeitenden orientieren sich um. Das ist echt bitter.

RW: Mit welchen Gefühlen blickt Ruhrwerk auf diese Entwicklung?

CKB: Die Zusammenarbeit mit „Lernen! in Herne“ bei diesem Projekt hat uns völlig neue Horizonte eröffnet. Für Ruhrwerk war es eine tolle Erfahrung, ein Projekt mit so vielen Kindern fördern zu können. Vom Know-how aller Beteiligten haben wir viel gelernt, weil sie aus dem Bildungsbereich stammen, der uns so sehr am Herzen liegt. Gleichzeitig wurden wir Ehrenamtlichen entlastet. Ruhrwerk – das sind sieben Frauen, die mit ihrer Zeit haushalten müssen. Dank „Lernen! in Herne“ konnten wir sicher sein, dass das Spendengeld die richtigen Empfänger erreicht. Der Verein hat die Kontakte hergestellt, die Schulen ausgewählt, den Informationsfluss gewährleistet und Termine für uns vereinbart. Das war für uns alle ein win-win, das wir gern weiterführen möchten.

LP: Genauso ist es. Im Grunde nutzt „Lernen! in Herne“ den Verein Ruhrwerk als Transmitter, als Übersetzer in das große wirtschaftliche Netzwerk hinein, das Ruhrwerk aufbauen konnte. Dieses würden wir Pädagogen vermutlich sonst gar nicht erreichen, weil wir uns nicht so gut verständlich machen können. Mit zwei Vereinen, die ein Ziel verfolgen, und der Stadt Herne im Rücken erreicht man einfach mehr.

RW: Stichwort: mehr erreichen. Das nächste Projekt zeichnet sich bereits ab? Der Titel lautet „Lernen neu denken“. Was verbirgt sich dahinter?

GT: Das Projekt „Lernen neu denken“ wurde in Dortmund entwickelt. Nach einer Pilotphase an einer Grundschule in der Nordstadt läuft es jetzt dauerhaft an verschiedenen Grundschulen, die ein schwieriges soziales Umfeld haben. Über das Projekt sollen Kinder in einer besonderen Weise angesprochen werden. Sie sollen sprachliche Unterstützung erhalten und neue Erfahrungswelten erleben, – zum Beispiel in der Natur. In Dortmund zeigte sich, dass viele Kinder noch nie im Wald waren oder im Garten. Ihnen fehlt ein kompletter Erfahrungshorizont. Das Projekt ermöglicht neue Erlebnisse im sozialen Umfeld, über die in der Schule gesprochen werden kann. Dabei wird jeweils die Hälfte der Klasse an einem Vormittag in der Woche normal unterrichtet, die andere Hälfte erkundet zur selben Zeit den Wald oder kauft ein und kocht. So soll es auch in Herne sein.

RW: Wo soll das Projekt in Herne starten?
GT:
.In Herne wollen wir nach den Sommerferien an der Max-Wiethoff-Schule in Sodingen mit Grundschülerinnen und -schülern der dritten Klasse starten. Die Schule ist zweizügig, es sind zwei Klassen im wöchentlichen Wechsel zu organisieren. Dafür benötigen wir sechs Honorarkräfte, darunter eine/n Waldpädagoge/in und eine/n Koch/Köchin.

RW: Was kostet ein solches Projekt?
LP: Wir rechnen aktuell mit 25.000 Euro Kosten pro Schule und Jahr. Es ist davon auszugehen, dass bei 22 Grundschulen in unserer Stadt die Nachfrage hochschnellen wird, wenn das Angebot öffentlich wird. In jedem Fall ist es gut investiertes Geld. Wir möchten zeigen, dass das Projekt auch in Herne funktioniert. Es bereitet die Schülerinnen und Schüler auf die vierte Klasse vor, danach wechseln sie auf weiterführende Schulen. Das ist ein zentraler Zeitpunkt in der Bildungskarriere. „Lernen neu denken“ vermittelt ihnen Lernstoff auf ganz andere Weise. Wenn sie gemeinschaftlich kochen, kaufen sie vorher ein und müssen Gewichte oder Preise berechnen. Wenn sie durch den Wald laufen, erleben sie Naturwissenschaft pur.  Beim Zubereiten der Speisen geht es um gesundes und leckeres Essen. Wir sind davon überzeugt, dass solche Erfahrungen Kinder zu einem anderen Lernen motivieren und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern. Außerdem gibt es weitere Lernorte, die zukünftig eingebunden werden können, z.B. die renaturierte Emscher oder das Blaue Klassenzimmer. Nach den Sommerferien wird „Lernen neu denken“ an der Max-Wiethoff-Schule anlaufen. Sobald der Start geglückt ist, werden wir es der Öffentlichkeit vorstellen.

CKB: Wir sind von dem Projekt begeistert und werden bei der nächsten Ruhrwerk-Gala am 9. September dafür werben. In diesem Jahr gehen wir noch stärker als sonst auf die Unternehmen in unserer Stadt zu, um ihre Bedeutung für Herne und Wanne-Eickel besonders zu betonen.

RW: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit sind die wichtigsten Zukunftsthemen für eine gelingende Gesellschaft. Was braucht eine Stadt wie Herne, die vielfältige Herausforderungen zu meistern hat, damit dies gelingt?

GT:
Macht die Kitas kostenlos und führt eine Kita-Pflicht für alle Kinder ein! Das fordern wir schon lange. Weil das leider Zukunftsmusik ist, wird sich der Verein „Lernen! in Herne“ in Zukunft noch stärker auf die Zielgruppe konzentrieren, die es am nötigsten hat: Kinder, die am Anfang der Bildungskette stehen. Dabei handelt es sich um Vorschul- und Grundschulkinder. Was wir in ihrem Leben auf den Weg bringen können, das hält sich auch. „Lernen neu denken“ ist ein Projekt, das richtig nachhaltig wirken kann. Wenn ein acht- oder neunjähriges Kind Erfahrungen im Wald gemacht hat und regelmäßig in der Küche stand, werden diese Erlebnisse ein Leben lang wirken. Genauso wichtig sind uns jüngere Kinder, denen wir möglichst früh Unterstützung anbieten müssen. Wir müssen viel früher ansetzen, weil viele Kids heute gar keine Chance auf den Kitaplatz haben. Sie lernen kein Deutsch, sie entwickeln keine sozialen Kontakte untereinander.

RW: Was kann für diese Kinder konkret getan werden?LP: Wir wollen insbesondere den Kindern, die keinen Kitaplatz erhalten haben, einen möglichst frühzeitigen „Vorschulstart“ ermöglichen. Auch die Stadt Herne denkt konzeptionell in diese Richtung. Dann ist für die Schulen das Unterrichten, das Erziehen und Bilden der Kinder ab Klasse eins einfacher als heute. Gespräche mit Schuldezernent Andreas Merkendorf haben wir bereits aufgenommen. Wenn es uns nicht gelingt, die Kinder durch vorschulische Bildung zu erreichen, kommen sie gar nicht erst in der Schule an und finden keinen Anschluss mehr. Dieses Defizit durchzieht ihre Bildungskarriere bis hin zu Ausbildung und Beruf. Da lässt sich später nichts mehr aufholen, und es geht viel zu viel Talent verloren.

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